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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 03.09.2009


Erinnern für die Zukunft
Daniela Besser

Anlässlich des Gedenkens an den Beginn des 2. Weltkriegs vor 70 Jahren luden der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V. und das Kulturforum der Sozialdemokratie am 1. September zu einem Filmabend ein




Im Willy-Brandt-Haus haben sich am 01. September circa 500 Menschen eingefunden – sie waren der Einladung des Freundeskreises Willy-Brandt-Haus e.V. und des Kulturforums der Sozialdemokratie gefolgt, dem Beginn des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren zu gedenken. Zu diesem Anlass wurde der Film "Das Reichsorchester" – Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus – des Regisseurs Enrique Sánchez Lansch gezeigt.

Zuvor gab es ein Rahmenprogramm mit Grußworten von Ulrike Merten (im Team Steinmeier für Verteidigungspolitik), die zu Friedenspolitik und Atomwaffenabrüstung sprach (und nebenbei gleich ein bisschen Wahlkampf für die SPD und ihren Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier machte) und von Barbara Kisseler (im Team Steinmeier für Kulturpolitik), die sehr treffende Worte fand, um an den "tragischen Verlust jüdischer Künstler"zu erinnern, und an den "beklemmend langen Zeitraum dieses Verlustes", der bis in die Gegenwart reicht. Sie erinnerte ganz konkret an den deutsch-jüdischen Filmmusik- und Schlagerkomponisten Werner Richard Heymann, dem die BerlinerInnen und Deutschen viel zu verdanken haben. Um es mit einem Zitat von Heymann selbst zu sagen: "Sie kennen mich zwar nicht, haben aber schon viel von mir gehört."

Zu hören gab es dann Heiter-Optimistisches (von vor dem Krieg) und Melancholisch-Trauriges (von nach dem Krieg) sowie ein Duett, geschrieben und komponiert von Heymann, arrangiert und gespielt an diesem Abend vom Tal Balshai Trio und gesungen von Roman Trekelund Cristiane Roncaglio.

Zur Film-Einführung sprach Wolfgang Thierse zum Thema "Erinnern für die Zukunft" in seiner Funktion als Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie. Er sprach davon, dass wir derzeit in einer Übergangszeit leben – was besagt, dass die letzten von Krieg, Verfolgung und Holocaust betroffenen ZeitzeugInnen während der NS-Zeit sterben. Thierse wies darauf hin, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, um die Erinnerung an diese Vergangenheit zu bewahren: Eine sei das "Denkmal für die ermordeten Juden Europas", eine andere beispielsweise der Film "Das Reichsorchester" von Enrique Sánchez Lansch.

Der dokumentarische Musikfilm beleuchtet die Rolle eines der international renommiertesten Orchester, der Berliner Philharmoniker, während des Nationalsozialismus´. Es zeigt, wie die Kultur von den Nazis zu Propagandazwecken missbraucht wurde, aber auch, wie unterschiedlich sich die einzelnen Musiker zum NS-Regime verhielten. Vom aktiven Parteimitglied bis zum Mitläufer war alles vertreten, nur wirklichen Widerstand scheint es bei den Berliner Philharmonikern nicht gegeben zu haben – allenfalls einzelne Momente der individuellen Courage. Dennoch bleibt die Frage der eigenen Mitschuld bestehen, denn als Musiker repräsentierten sie im Ausland das "Dritte Reich". Als Künstler haben sie sich von der NS-Diktatur instrumentalisieren lassen – und dies bleibt auch angesichts des DDR-Unrechtstaates eine weiterhin aktuelle Frage, wie frau/man den Worten Wolfgang Thierses, in der nachfolgenden Gesprächsrunde mit Elisabeth Trautwein-Heymann, Tal Balshai und Enrique Sánchez Lansch, entnehmen konnte.


Zu Werner Richard Heymann: Geboren 1896, komponierte Filmmusik & Schlager und war bis 1933 Generalmusikdirektor der UFA in Berlin. Als Jude musste er aus Nazi-Deutschland fliehen und ging ins Exil nach Paris und Hollywood. 1951 kehrte er nach Deutschland zurück, lebte und arbeitete zehn Jahre in München und Locarno. Heymann starb 1961.
(Quelle: "Erinnern für die Zukunft)

Zu Elisabeth Trautwein-Heymann: Geboren 1952 in Salzburg, Musik-/ Tanzpädagogin und Tochter von Werner Richard Heymann. Sie lebt seit 1998 in Berlin.
(Quelle: "Erinnern für die Zukunft)

Zu Tal Balshai: Geboren 1969 in Jerusalem, studierte klassisches und Jazz-Klavier in Jerusalem, Tel Aviv, Berlin und New York. Seit 1992 lebt und arbeitet er als Komponist und Pianist in Berlin. 1995 gründete er das Tal Balshai Trio. (Quelle: "Erinnern für die Zukunft)

Zu Enrique Sánchez Lansch: Geboren 1963 im spanischen Gijon, studierte Musik, Film, Romanistik, Philosophie und Germanistik in Köln und den USA. Seit 1991 arbeitet Sánchez Lansch als Produzent und Filmregisseur. Nach "Rhythm is it!" (2004) ist "Das Reichsorchester" (2007) sein zweites Filmprojekt mit den Berliner Philharmonikern.
(Quelle: "Erinnern für die Zukunft)

AVIVA-Tipp: Der Dokumentarfilm "Das Reichsorchester" von Enrique Sánchez Lansch legt Zeugnis ab von den Verstrickungen der Kunst und Künstler mit den nationalsozialistischen Machthabern und deren Propaganda. Eines macht der Film deutlich: Was der akademisch-unpolitische Elfenbeinturm, das ist im Falle der Berliner Philharmoniker die künstlerisch-unpolitische Glasglocke gewesen. Ein wichtiger Film, den frau/man gesehen habe sollte.

Das Reichsorchester – Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus
Deutschland 2007, Farbe/sw
Buch und Regie: Enrique Sánchez Lansch
Verleih: Edition Salzgeber
Lauflänge: 90 Minuten
Kinostart: 1. November 2007

Weiterlesen/-sehen/-hören:

Die DVD "Das Reichsorchester" ist im Februar 2008 bei Arthaus Musik erschienen.

"Ein Lied geht um die Welt"

"Pioniere in Celluloid. Juden in der frühen Filmwelt"

"Alfred Gottwaldt - Eisenbahner gegen Hitler"


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Beitrag vom 03.09.2009

AVIVA-Redaktion